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Kunst aus der Sprühdose

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Von Kristin Doberer (Text)
und Alexander Becher (Fotos und Videos)
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Kunst aus der Sprühdose

Mit der Kapuze ins Gesicht gezogen und der Atemschutzmaske über Mund und Nase sprüht Thomas Idler schwarze Farbe an eine Gartenmauer einer Backnanger Wohnsiedlung.

Es handelt sich aber nicht um eine Nacht-und-Nebel-Aktion, bei der an einer Hauswand eine Schmiererei zurückbleibt, sondern um die ersten Züge eines Kunstwerks. Denn Thomas Idler und sein Kollege Marius Blum sind professionelle Grafitti-Künstler. Sie werden beauftragt, um auf Fasaden, Autos oder anderen Objekten ein kleines Kunstwerk zu erschaffen.
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Die beiden treten nach einigen Minuten Sprayen einen Schritt von der Wand zurück und betrachten die ersten Züge ihres Werks. Wo andere nur wirre Linien aus grüner und schwarzer Farbe sehen, haben Idler und Blum ein ganz anderes Bild im Kopf: eine dunkle unterirdische Höhle, die Wurzeln der Bäume und Sträucher winden sich nach unten, und ein Stück weiter fließt ein unterirdischer Fluss durch das Bild. Bis aber auch andere Betrachter dieses Motiv auf der etwa 30 Meter langen Mauer entdecken werden, wird es noch etwa vier weitere Arbeitstage brauchen, an denen noch viele Dosen gelehrt werden müssen.
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Idler und Blum sind zusammen aufgewachsen, bereits als Jugendliche haben sie gemeinsam kreative Projekte umgesetzt. Beide haben lange als Grafikdesigner gearbeitet, in ihrer Freizeit aber Aufträge für Graffiti-Kunstwerke angenommen.
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Anfang 2020 haben sich die Freunde dann selbstständig gemacht und ihre Agentur Adkru gegründet. Aus dem Nebenjob aus Leidenschaft wurde für sie ein Vollzeitjob.

Neben dem künstlerischen Aspekt widmen sie sich außerdem dem Web- und Grafikdesign und geben unterschiedlichste Workshops zum Thema Kunst mit der Spraydose. In den Workshops geben sie ihre Erfahrung an andere weiter. Vom Junggesellenabschied bis zum Workshop in Schulen ist alles dabei. Außerdem veranstalten sie auch Live-Events, bei denen Zuschauer beim Entstehen eines Kunstwerks zuschauen können, zum Beispiel beim Besprühen eines Autos als Werbeaktion einer Firma.
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Die beiden haben ihre Leidenschaft für die Sprühdose nicht beim nächtlichen Taggen entdeckt, sondern als weiteres Medium ihrer Kunst. „Wir waren nie die Typen, die zocken oder Freitagabend groß feiern gehen. Wir haben stattdessen lieber etwas Kreatives gemacht.“

Für ihre Kunstwerke nutzen sie übrigens nicht nur die Spraydose: die unterschiedlichsten Materialien können zum Einsatz kommen. Auch mit Kreide, Window color, Acrylfarben oder sogar Wachs arbeiten sie.

„Bei der Objektgestaltung bietet sich aber die Spraydose einfach an, weil man mit ihr sehr großflächig arbeiten kann“, sagt Blum. „Wichtig ist eigentlich nur, dass man sich sein Kunstwerk visuell genau vorstellen kann. Dann ist das Medium tatsächlich egal.“
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Unter dem Namen Adkru nehmen sie Aufträge in allen möglichen Stilrichtungen an – von Fotorealismus bis Comicstil. Ein wenig vom eigenen Kunststil und der eigenen Erfahrung fließt aber immer mit ein.

Es gibt immer Vorgespräche mit den Auftraggebern und dann weitere Treffen, um die Umsetzung der Ideen zu diskutieren. „Manchmal wollen die Leute zum Beispiel ein Bild aus dem Urlaub als Kunstwerk an der Wand haben, da halten wir uns dann genau dran. Aber wir beraten auch, was zum Beispiel die Farbwahl angeht, oder machen Alternativvorschläge, die Kunden überraschen“, sagt Idler.
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„Wir werden auch viel von Städten und Gemeinden beauftragt, um unschöne Flecken zu überdecken oder um Schmierereien vorzubeugen.“ So haben sie zum Beispiel die Stromkästen der Stadt Nürtingen gestaltet und die Brücke am Zeller Weg in Backnang in eine Waldlandschaft verwandelt.

Auch für das aktuelle Projekt im Größenweg wurde ein realistisches Naturmotiv gewählt. Auch die lange Gartenmauer wurde in der Vergangenheit von Unbekannten mit unschönen Schriftzügen verunziert. Diese sollen nun verdeckt werden. Diese sollen nun verdeckt werden. „Eine schöne Bemalung ist oft auch vorbeugend. Das wird normalerweise respektiert und keiner malt einfach drüber. Und außerdem lädt es weniger zu Schmierereien ein als eine ganz leere Fläche“, sagt Blum.
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Doch obwohl sie seit einigen Jahren professionell Kunst an Gebäude und Objekte malen, schlägt ihnen noch immer häufig Unverständnis und Vorurteile entgegen. „Viele sind auch einfach noch nicht aufgeklärt. Sie wissen gar nicht, dass eine Spraydose nicht immer eine Schmiererei bedeutet“, sagt Idler.

Es kam auch schon häufiger vor, dass die Polizei gerufen wurde oder dass sie bei Kontrollfahrten kontrolliert wurden. Zwar versuchen sie immer, mit dem Auftraggeber abzusprechen, dass alle weiteren Anwohner über ihre Arbeit Bescheid wissen, doch trotzdem kommt es immer wieder vor, dass sie sich der Polizei gegenübersehen. „Wir zeigen dann einfach unsere Auftragsbestätigung vor, dann ist das kein Problem.“

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Sie wollen den Vorurteilen aber auch aktiv entgegenwirken, deshalb filmen die zwei Künstler ihre Arbeit, ob für die eigenen Social-Media-Kanäle oder für die ihres Kunden. „Viele Leute wissen ja gar nicht, wie so was entsteht. Für die ist das total faszinierend“, sagt Idler über die Reaktionen in den Sozialen Medien. 
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Je nach Größe und Motiv planen sie etwa ein bis drei Tage Arbeit vor Ort für einen Auftrag ein. Wie viel es kostet, hängt von der Arbeitszeit, aber noch von weiteren Punkten ab: Größe, Aufwand oder Anzahl der verwendeten Farben sowie Entsorgungskosten der leeren Dosen spielen mit rein.

„Die Farben können wir nicht mischen, wie bei Acrylfarben zum Beispiel. Wenn wir eine ganz bestimmte Farbe brauchen – wenn auch nur für einen winzigen Punkt –, muss eine ganze Dose gekauft werden“, sagt Idler.
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Und die Auftragslage ist gut: Mit guten Stammkunden beim Webdesign und viel positiver Mundpropaganda für ihre Objektgestaltung kommen die Beiden auf weit mehr als 40 Arbeitsstunden pro Wochen. „Aber das ist okay. Wir würden ja auch im Feierabend ohnehin kreativ arbeiten“, sagt Idler.

Außerdem gebe es nicht allzu viel Konkurrenz in ihrem Bereich, sie schätzen die Zahl der professionellen Objektgestalter auf weniger als 100 in ganz Deutschland, in der Region wissen sie nur von einem weiteren Team mit Sitz in Stuttgart. Und auch im Ausland waren sie bereits gefragt. Für Aufträge reisten sie unter anderem nach Liverpool, Kapstadt oder sogar bis nach Australien.
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Und ihre Kunst kommt gut an. Bereits vor der Gründung der eigenen Agentur haben sie mehrere Jahre unter dem Namen Art Development Graffiti-Kunstwerke als Nebenjob erstellt. Vom Privatkunden, der seine Wohnzimmer- oder Garagenwand mit einem realistische Porträt bemalt haben möchte bis zur großen Firma, die einen Aufenthaltsraum gestalten oder eine andere Art der Werbung machen möchte.

Webdesign und Kunstwerke schaffen ist aber nicht ihr einziges Standbein. In verschiedenen Workshops zum Beispiel geben sie ihre Erfahrung und Wissen weiter. Vom Junggesellenabschied bis zum Workshop in Schulen ist alles dabei. Außerdem veranstalten sie auch Live-Events, bei denen Zuschauer beim entstehen eines Kunstwerks zuschauen können, zum Beispiel beim besprühen eines Autos.
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Zuerst werden dort grobe Linien gezogen, wo sich dunkle Flächen von helleren abgrenzen oder wo sich später ein bestimmtes Motiv – in diesem Fall zum Beispiel eine Wurzel – befinden soll. Blum hat bei dieser Arbeit immer die Spraydose in der einen Hand, die Vorlage in der anderen. Immer wieder wandert sein Blick beim Sprühen zu dem Blatt. „Die Herausforderung hier ist es, die Maßstäbe richtig hinzubekommen. Man steht ja direkt vor der Wand und hat immer nur einen kleinen Ausschnitt im Blick. Man muss immer wissen, wo im Bild man sich gerade befindet“, erklärt er.
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Da die Farben zu 100 Prozent decken, arbeiten sich die Künstler in Ebenen voran. So wird zunächst der Hintergrund komplett fertig gemalt, bevor es an die Motive und Details im Vordergrund geht.
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Vor allem die abschließenden Detailarbeiten kosten noch viel Zeit, auch wenn sie dem untrainierten Auge nicht sehr auffallen. Schatten und Highlights seien aber für ein realistisches Bild sehr wichtig, so die Künstler. Und genau darin sind sie Profis. „Nicht jeder kann ein Motiv fotorealistisch umsetzen, aber genau das ist besonders faszinierend“, sagt Blum.
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Ganz zum Schluss wird noch zweimal ein Schutzlack auf dem gesamten Kunstwerk aufgetragen. „Dadurch hält sich das Graffiti für etwa zehn Jahre“, sagt Idler.
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Nach etwa vier Arbeitstagen ist es dann endlich so weit. Die komplette Fläche der etwa 30 Meter langen Gartenmauer ist bedeckt, alle Deteils und Highlights sind fertig. Aus der vormals grauen Mauer wurde eine Höhlenlandschaft mit unterirdischem Flusslauf.
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Auf der absoluten Wunschliste der Künstler steht ein richtig großes Mural an einer ganzen Hauswand, wie es in Berlin oder anderen Großstädten häufig zu sehen ist. Das ein oder andere Gebäude haben sie dafür auch schon im Blick: „Als leidenschaftliche Backnanger würden wir so was natürlich gerne in der Stadt machen. Zum Beispiel würde sich das Parkhaus beim Windmüller gut dazu eignen“, sagt Blum mit einem Augenzwinkern.
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